Verkörperter Konsens

Die Informationen, die dir dein Körper in Form von Empfindungen, Gefühlen und Intuition gibt, sind der Schlüssel, um Entscheidungen zu treffen. Von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen lernen, ihre Gefühle zu übergehen und sich den Wünschen anderer unterzuordnen. Ich möchte dich nun dazu einladen, zurück in deinen Körper zu kommen. Aus dem Inneren deines Körpers heraus kannst du entscheiden, was du sexuell willst, basierend auf deinen Bedürfnissen, Wünschen und Werten. Ich nenne das verkörperten Konsens.

Der erste Schritt zu verkörpertem Konsens ist, dass du die Empfindungen und Signale deines eigenen Körpers wahrnimmst. Was fühlst du in deiner Brust, deinem Becken, deinem Bauch? Wenn du etwas tust, was du tun möchtest, wenn dein Inneres “ja” sagt, woran merkst du das? Eine Betroffene, mit der ich gearbeitet habe, sagte zum Beispiel, dass ihr Bauch sich entspannt und sie dort ein warmes Gefühl hat, wenn sie weiß, dass es ok für sie ist, weiterzumachen. Eine andere berichtet, dass sie eine Offenheit und Wärme in ihrem Becken spürt und eine Verbindung zu ihrer Stimme und Kehle, wenn sie ein “ja” fühlt. Probier es selbst aus! Woran erkennst du, dass dein Körper “ja” sagt?

Und umgekehrt, welche Signale und Empfindungen hat dein Körper, wenn du eine bestimmte sexuelle Erfahrung nicht machen willst? Woran merkst du, wenn es sich nicht mehr ok anfühlt? Ein*e andere*r Betroffene*r berichtet: “Ich spüre ein panisches Gefühl in meiner Brust und will mich körperlich entziehen. Meist versuche ich mich selbst dazu zu bringen, sexuellen Kontakt zu wollen, indem ich mir sage: ‘Was ist schon dabei? Es wird schon nichts Schlimmes passieren.’ Wenn ich nicht auf meinen Körper höre, steige ich für gewöhnlich aus und habe Sex, bei dem ich nicht wirklich da bin.” Wenn du bestimmte sexuelle Handlungen nicht möchtest, kann es dazu kommen, dass dein Atem kurz und flach wird, dein Bauch sich zusammenzieht oder du das Gefühl hast, dass dein Körper sich der Situation entziehen will. Achte mal darauf. Das ist Kommunikation an dich, da teilst du dich dir mit. Welche Empfindungen in deinem Körper kommunizieren dir ein “nein”?

Und was ist mit einem “vielleicht”? Manchmal hast du in deinem Körper eine Reihe von anscheinend widersprüchlichen Gefühlen auf einmal. Es kann sein, dass du in deinem Becken und den Genitalien sexuell erregt bist, aber dich gleichzeitig in deiner Brust wie weggezogen fühlst. Es kann sein, dass du Wärme im Solarplexus spürst, was dafür spricht weiterzumachen, aber du hast auch Angst oder dein Hals zieht sich zusammen. Was machst du dann?

Tatsächlich sind die meisten Betroffenen mit widersprüchlichen Gefühlen vertraut. Konsens bedeutet dann, erst einmal herauszufinden, welche Empfindungen was bedeuten. Ein*e Workshop-Teilnehmer*in merkte an: “Ich fühle in meinem Bauch, dass ich sexuell sein möchte. Es ist ein entspanntes, tief verankertes, ein sicheres Gefühl, aber gleich-zeitig spüre ich vielleicht Unruhe oder Angst in meiner Brust. Ich habe Angst, wenn ich Leuten näher komme. Ich kann davon ausgehen, dass das passiert. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht sexuell aktiv sein will. Es bedeutet einfach nur, dass ich Angst habe, während ich sexuell aktiv bin.” Ein*e andere*r Betroffene*r teilt mit uns: “Für gewöhnlich höre ich auf, Sex zu haben, wenn sich mein Bauch zusammenzieht. Mir ist allerdings inzwischen klar, dass mein Bauch sich verkrampft, weil es mich belastet, sexuell erregt zu sein. Es war so schrecklich, während des sexualisierten Übergriffs erregt zu werden, dass mein Körper sich gegen den Zustand, erregt zu sein, immer noch wehrt. Wenn ich mich einfach entspanne und meinen Bauch und die Angst darin annehme, ist es mir möglich, damit fortzufahren, sexuell aktiv zu sein. Dass mein Bauch angespannt ist, bedeutet nicht, dass ich keinen Sex haben möchte.”

Manchmal treffen wir Entscheidungen bezüglich Sex in unserem Kopf, weil es wie eine gute Idee wirkt und Sinn zu ergeben scheint, obwohl unser Körper uns etwas komplett anderes sagt.

Wenn du eine solche Kopfentscheidung triffst, fühlst du dich danach möglicherweise benutzt, bist wütend oder ekelst dich vor dir selbst.

Konsens fühlt sich nicht immer angenehm, einfach und erfreulich an. Manchmal kann eine einvernehmliche Erfahrung Traurigkeit, Wut oder Gefühle des Verlassenseins hervorrufen. Es ist wichtig, unterscheiden zu lernen zwischen einem Gefühl, das du wahrnimmst und dem Wunsch, mit dem aufzuhören, was du gerade tust. Das kannst du erreichen, indem du versuchst auf deinen Körper zu hören und seine Sprache zu lernen.

aus SURVIVOR`S GUIDE TO SEX (auf deutsch: Ausatmen.)