Einleitung

Ich erinnere mich noch daran, als ich das erste Mal vom Zustimmungskonzept gehört habe. Ich war 22, und es war überall in den Nachrichten, dass das Antioch College eine Richtline zur Prävention sexualisierter Übergriffe heraus- gegeben hatte, die besagte, dass vor jedem neuen Schritt körperlicher Annäherung nachgefragt werden muss, und dass immer verbale◀ Zustimmung eingeholt werden soll.

In den meisten Medien wurde die Richtlinie als eine Art verklemmte, sexfeindliche, feministische Übernahme angegriffen – aber für mich (und eine ganze Menge anderer Leute) war es der Anfang davon, mir eine Sexualität vorstellen zu können, die mir gut tut, und darauf hinzuarbeiten.

Vor der Antioch Richtlinie hab ich mir oft selbst die Schuld dafür gegeben, nicht “nein” sagen zu können. “Nein” zu sagen war das einzige, was mir einfiel, um ungewollten Sex zu vermeiden, und weil ich es nicht sagen konnte, hatte ich das Gefühl, einfach alles mitmachen zu müssen. Von verbalem Konsens zu erfahren, eröffnete mir eine ganz neue Welt. Ich fing an, es zu üben.

Obwohl ich mir wünschte, andere Leute würden die Initiative ergreifen und mich nach Zustimmung fragen, war es auch irgendwie wirklich empowernd◀ und sexy und toll, Menschen die ganze Zeit zu fragen “Ist das okay?”, “Möchtest du, dass ich das mache?”.

Manchmal hat es mir geholfen, zu realisieren, dass ich nicht die einzige Person war, die Angst hatte oder unsicher war. Manchmal half mir das Fragen, ob alles okay ist, auch dabei, herauszufinden, ob die Situation für mich selbst okay ist.

Meist wusste ich nicht, was meine eigenen Grenzen waren, und ich denke, unsere eigenen Grenzen kennen zu lernen, ist ein lebenslanger Prozess. Ein bisschen können wir selbst herausfinden, aber nicht alles. Und unsere Grenzen ändern sich.

Und ich denke, es ist grundlegend wichtig, dass wir die Art und Weisen, auf die wir überlebt haben, schätzen. Und dass wir die Art und Weisen schätzen, wie wir jetzt überleben. Wenn andere Menschen über ihre Erfahrungen mit Konsens sprechen, dann hilft mir das dabei, mich weniger seltsam und weniger alleine zu fühlen. Es gibt mir die Hoffnung, dass wir die Welt ändern können, in der wir leben – dass wir verändern können, was als selbstverständlich gilt und wie wir einander begreifen und verstehen.

Und es hat sich schon etwas verändert. Ich denke, es ist wichtig, sich daran zu erinnern. Mit der Gründung des ersten Krisenzentrums für Betroffene von Vergewaltigung, dem ersten feministischen Gesundheitszentrum, dem ersten Workshop zu Konsens, dem Entstehen von Gruppen wie “Men Can Stop Rape” (Männer können Vergewaltigung ein Ende setzen), “Sister Song”, “Philly’s Pissed”, “Generation 5” – mit all diesen, und all den Büchern und Heften und Unterhaltungen und Kunstveranstaltungen und Speakouts¹ und Liedern und Freund_innenschaften. Sie verändern Dinge. Ich merke es. Selbst wenn noch so viel bleibt.

Wenn wir über unsere Erfahrungen mit Konsens sprechen, unsere Kämpfe, unsere Fehler und darüber, wie wir gelernt haben, dann ist das Teil von einem viel größeren, revolutionären Kampf. Ich bin glücklich, dass ich darum gebeten wurde, dieses Heft zusammen zu stellen und bin beeindruckt von dem Mut der Leute, die dazu beigetragen haben. Und ich bin auch von deinem Mut beeindruckt. Ja, deinem. In einer Welt, die uns dazu auffordert, uns nicht zu sehr zu kümmern oder zu tief zu hinterfragen, ist es mutig, hier zu sein – und Konsens zu lernen.

riotgrrrlpress, POB 29, Athens Ohio 45701

Titelbild von Tom Herpich ( www.thomasherpich.com )

¹ Speakout: In den USA: Ein Treffen, bei dem Menschen sich in einem geschützten Umfeld über ihre Erfahrungen mit einem Thema austauschen