Text ohne Titel

von Xokerigirl

* potentiell (sehr warscheinlich) triggernd◀ *
 
Als ich 18 war, wurde ich von meinem besten Freund, den ich seit dem Kindergarten kannte, vergewaltigt. Wir waren beide betrunken und kuschelten und während ich bewusstlos in seinem Bett lag, „verlor“ er seine Jungfräulichkeit an mir. Am nächsten Morgen wachte ich nackt auf, dachte meinen Freund betrogen zu haben und rannte übern Campus zu meinem Studi-Wohnheim. Damals hab ich nicht verstanden, welche Formen Konsens und Vergewaltigung im alltäglichen Leben haben; 3 Jahre lang habe ich keinem Menschen davon erzählt. Aber er tat es; allen unseren gemeinsamen Freund*innen. Ich verbrachte die nächsten 3 Jahre damit, mit dem Wissen zu leben, dass alle unsere Freund*innen dachten, ich hätte meinen Freund betrogen. Verdammt, ich dachte, ich hätte meinen Freund betrogen.
In dem Glauben, ich wäre eine Schlampe, eine schlechte Frau, machte ich mit meinem Freund Schluss und verbrachte Nächte damit, mit Jungs herumzuficken, die sich einen Dreck um mich scherten; die mich Sachen fragten wie „möchtest du, dass ich dich nochmal ficke,“ während ich betrunken versuchte, in ihrem Bett einzuschlafen; die meinen schlaffen, berauschten Körper hochhoben, während sie sich in mich hineinstießen und ignorierten, dass ich überhaupt nicht teilnahm. Ich war nicht mehr in der Lage zu verstehen, wie einvernehmlicher Sex überhaupt aussehen könnte, bis ich Jahre später (nachdem ich mich fürs Hauptstudium der Frauen- und Geschlechterforschung entschieden hatte und begann, mich bewusst als Anarchist*in zu verstehen) realisierte, was mir passiert war. Ich hatte Worte dafür und die klangen ganz und gar nicht nach „betrügen“. Ich war vergewaltigt worden, hatte sexualisierte Übergriffe erfahren, war verletzt worden.
Ich begann mit allen darüber zu sprechen; ich erzählte es vor einer Klasse von zweihundert Studierenden; ich erzählte es meinem nächsten Freund (welcher früher der beste Freund des ersten Jungen war, der mich vergewaltigt hatte, und der vor Jahren mein erster richtiger Freund war). Wir lernten wie wir Sex haben konnten, der meine Grenzen verschob, machten Bondage¹, und es wurde immer einfacher nach Sex zu fragen, wenn wir Lust drauf hatten.
Aber ich merkte, dass ich ihn dadurch, dass ich mich nicht mit meinem eigenen Scheiß auseinandersetzte, zu Aktivitäten zwang. Wenn er nicht in der Stimmung war, schmollte ich solange bis er nachgab. Ich konnte nicht damit umgehen, zurückgewiesen zu werden; es gab mir das Gefühl, eine Hure mit unstillbarem Sextrieb zu sein, oder eine notgeile, aufdringliche, erdrückende Frau. Dieses Selbstbild fühlte sich schrecklich an.
 
Es fühlte sich schrecklich an. Aber was sich noch schlimmer anfühlte, war, dass er sich weigerte mir zu sagen wenn ich zu weit ging, oder wütend auf mich zu werden. Mir wurde klar, dass ich meinem eigenen Partner so viel Angst machte und viel zu sehr von meinem eigenen Trauma vereinnahmt wurde, sodass er sich nicht sicher fühlte, mir zu sagen, wenn ich ihn verletzte. Weil er nicht wollte, dass ich mich wie die Art von Person fühlte, die ihren Partner absichtlich zu etwas zwingt oder ihr eigenes schlimmes Verhalten nicht erkennt. Er wollte mich vor mir selbst schützen, während ich mit meinem Trauma, vergewaltigt worden zu sein, zu tun hatte. Ich liebe ihn dafür immer noch, aber ich wünschte mir, dass wir einen Weg gefunden hätten auch mit meinem nötigenden Verhalten umzugehen; ich lerne immer noch, wie das geht. Ich brauche es, dass ich auf mein Scheißverhalten angesprochen werde. Aber das scheint uns miteinander einfach nicht möglich gewesen zu sein; nach drei gemeinsamen Jahren machten wir Schluss.
 
Jetzt bin ich mit jemandem zusammen, der es mir sagt, sobald ich ihn unter Druck setze. Wenn ich ihn beim Sex schlage und es sich nicht gut anfühlt, hören wir auf und sprechen darüber.
Wir geben unser Bestes, damit unsere nicht-monogame Beziehung läuft. Versuchen, mit unserer Eifersucht und unseren Verlustängsten umzugehen, während wir einander dennoch den Raum geben, den wir brauchen, um das zu tun was wir wollen, Sex zu haben mit wem wir wollen, und uns dabei nicht so fertigzumachen, dass wir nicht mehr zusammen bleiben wollen. Mit diesem Partner zusammen zu sein ist auch auf andere Weise erstaunlich für mich: Ich lerne, wie ich Kontrolle beim Sex abgeben kann und lasse mich auf Sex ein, der mir erlaubt in Rollen zu schlüpfen, in denen ich (in einem sicheren Rahmen) kontrolliert werde. Es ist erstaunlich daran zu denken, wie ich fähig wurde, das, was Sex für mich sein kann, auszuweiten und wie ich lernte viele der Gefühle, die mit der Vergewaltigung zu tun hatten, zu überwinden, Dinge, die ich nicht hinbekommen habe, während ich mit meinen letzten 2 Partnern zusammen war. Es ist auch wirklich erstaunlich (und erschreckend) jemanden um mich zu haben, der mich darauf hinweist, wenn mein Verhalten nötigend oder manipulativ wird. Wir diskutieren weiterhin über ein Verständnis von “Täter*in” und “Betroffene*r” als Begriffe, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Und obwohl es schwierig ist, einen geliebten Menschen sagen zu hören, dass er sich meinetwegen unsicher fühlt und dass ich ihn manipuliere, bin ich auch so unglaublich dankbar, dass da jemand ist, der bereit ist mich auszuhalten, während ich mich mit dieser Scheiße auseinander setze.
 
¹ Bondage: Fesselspiele