Gedanken zu Konsens für Typen, die mit Typen rummachen

von Nikita Riotfag

Ich konnte seinen Ständer durch seine fransig abgeschnittene Jeans spüren, an meinem eigenen anschwellenden Schritt. Ich war richtig benommen, von seiner Erregung elektrisiert, nach dem salzigen Geschmack seines Nackens dürstend, berauscht davon, wie unsere schwitzenden, pulsierenden Körper aneinander rieben. Irgendwann ebbte unser Rummachen ab, bis wir zu einem Punkt kamen, an dem wir verweilten um zu atmen, zu lächeln und uns in die Augen zu schauen. Ich war heiß, ich war geil, ich war zu allem bereit. Frag einfach, ich bin dein, nimm dir alles was du willst.

Seine Arme um meine Schultern, mein Arsch auf seinem Schoß, unsere Augen ineinander versunken, öffnet er den Mund, hält kurz für ein Lächeln inne, und raunt mit rauer, weicher, sexy Stimme:

“Ich würde dich voll gerne ficken. Aber … ich möchte dich erst kennen lernen.”

Hä?

——–

Moment, einen Schritt zurück. Vielleicht sollte ich ein bisschen mehr zum Kontext erzählen. 

Ich bin Punk und Anarchist, und ich verstehe mich auch als queeren◀ Typen. Also, in erster Linie als schwul, aber manchmal schlafe ich auch mit Leuten, die keine Männer sind. Vielleicht also als “bi”, aber die Geschlechter”bi”narität◀ ist Quatsch, und ich identifiziere mich viel mehr mit der schwulen Kultur .. oder sowas. Es ist kompliziert. Auf jedenfall habe ich überwiegend Männer gedated und mit ihnen geschlafen, und ich habe mich als queer geoutet◀ und begonnen, an queerer Kultur und queerem Aktivismus teilzunehmen, bevor die anarchis-tische/punk-Szene mein hauptsächliches “Zuhause” wurde.

In anarchistischen/punk Kreisen habe ich das leidenschaftliche politische Engagement gefunden, die kompromisslose Ablehnung des Mainstreams◀, die harte, wütende Musik und den Lebensstil, der am besten zu meinen Bedürfnissen und Wünschen passt. Doch auch wenn ich mich in einem besetzten Haus oder in einem Konzertkeller eher zu Hause fühle als in einer mainstream Schwulenbar, nervt es langsam, dass die meisten meiner anarchistischen Freunde vollkommen hetero sind, oder “queer” auf eine Art und Weise, die nicht mit einschließt, Männer zu daten, schon gar nicht mich. Deshalb habe ich mich immer gefühlt, als stünde ich mit jeweils einem Fuß in diesen beiden sehr unterschiedlichen Szenen und konnte nie ganz in nur einer ohne die andere sein. Dieser Spagat zwischen den Subkulturen hatte einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung meines Sexlebens und wie ich Konsens erlebe und praktiziere.

Es gibt einige ziemlich wesentliche Unterschiede in Bezug auf Sexualität zwischen schwulem Mainstream und anarchistischen/punk Szenen. Ich denke, ich kann an meinen Erfahrungen, meinen Begehren, an meinen Normen und Werten bezüglich Sex erkennen, wie diese beiden Szenen mich unterschiedlich geprägt haben. Ich weiß, dass beide Spuren an mir zurückgelassen haben, die ich wertschätze und aber auch solche, mit denen ich ringe, um sie zu überwinden. Weil ich davon ausgehe (ob nun berechtigterweise oder nicht), dass die Menschen, die dieses DIY◀ Zine◀ lesen, mehr über die sexuellen Umgangsformen in der anarchistischen/punk Szene wissen als über die des schwulen Mainstreams, werde ich mich mehr auf letztere konzentrieren. So hoffe ich einige Einflüsse aufzuzeigen, die mich geprägt haben, und außerdem zu verdeutlichen, was männliche, schwule/bi Erfahrungen zu bieten haben, wenn es darum geht zu lernen, wie komplex Konsens ist. Aber erstmal …

…Einige Gedanken zu sexuellen Umgangsweisen in der anarchistischen/Punk-Szene, Konsens und queeren Männern

 Meiner Meinung nach haben die mutigen Kids, die die anarchistischen/Punk-Szenen und Gemeinschaften dazu gebracht haben, sexualisierte Gewalt wahrzunehmen und Normen in Bezug auf Konsens zu wandeln, damit begonnen eine ernsthafte Veränderung unserer gemeinsamen Kultur zu bewirken. In den letzten Jahren, in denen ich in dieser kunterbunten Welt der Reisenden und Rattenfänger_innen eingebunden war, habe ich wesentliche qualitative Unterschiede in meinen sexuellen Begegnungen mit Leuten bemerkt, die innerhalb dieser Verhältnisse sozialisiert wurden – im Vergleich zu Leuten, bei denen das nicht so war. Zum Beispiel waren die anarchistischen/Punk-Leute, die ihren Weg in meine Hose gefunden hatten, merklich offener für das Zustimmungskonzept und erfahrener darin, es anzuwenden (und sie fanden es heiß anstatt stimmungstötend). Sie waren weniger eingeengt durch Gender◀-Stereotype und beschränkte Vorstellungen davon, was Sex ist, und sie fühlten sich eher wohl damit, zwischendrin kurz nachzufragen und über Grenzen zu kommunizieren. Und allgemein passten sie eher zu meiner bevorzugten Art miteinander rumzumachen.

Klar sind das nur die Erfahrungen einer Person, und in jeder anarchistischen/Punk-Gemeinschaft bestehen weiterhin ernste Probleme: Festgefahrener Glauben an Vergewaltigungs-Mythen◀ und Schuldzuweisung an Betroffene von sexualisierter Gewalt (“Victim Blaming”), “große Worte” die über Feminismus oder Konsens geschwungen werden (während Menschen weiterhin nach denselben beschissenen Mustern handeln), Widerstand dagegen Verantwortung zu übernehmen oder sich gewalttätiges Verhalten einzugestehen und unzählige weitere Beispiele. Dennoch habe ich so viele Schritte in die richtige Richtung erlebt: Bei den meisten radikalen Veranstaltungen gibt es Workshops und Diskussionen zu Konsens. Zines und Texte über Konsens und positive, enthusiastische Sexualität werden immer weiter verbreitet. Es entstehen Lese-/Lern-/Diskussions-Gruppen, die sich vertieft mit diesen Themen auseinandersetzen, sowie stabile kollektive Strukturen für Community Accountability◀ in Städten und bei Veranstaltungen… Diese und viele weitere Dinge deuten auf einen Wandel in unserer gesamten Art und Weise hin, über Sex und Konsens zu denken. Indem darauf bestanden wird, diese Auseinandersetzungen ÖFFENTLICH und innerhalb der GESAMTEN GEMEINSCHAFT zu führen, anstatt sie als unsere persönlichen Angelegenheiten im Privaten zu behandeln, wird das feministische Prinzip aufgegriffen, das Private zu politisieren. Das weist darauf hin, dass wir uns als Punks oder anarchistische Leute um radikale Veränderung bemühen, wie wir gemeinschaftlich und individuell Sex haben und Konsens praktizieren.

 Also, warum hat dieser Trend nicht dazu geführt, dass es jetzt viele heiße Punk-Typen gibt, für die verbaler◀ Konsens ganz selbstverständlich ist? Ich denke, da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Ich habe zum Beispiel den Eindruck gewonnen, dass überwiegend weiblich sozialisierte Personen diesen subkulturellen Wandel in Richtung Konsens und das Herausfordern von Rape-Culture◀ voranbringen, auch wenn es alle möglichen Ausnahmen gibt. Klar machen viele anarcha-feministische Männer mit und bringen sich aktiv in die Bewegung ein, um Sexualität in einvernehmlichere Richtungen zu verändern. Aber ich habe weit weniger Punk-Typen als Punk-Frauen kennengelernt, die sowohl in sexuellen Dingen als auch in den verschiedensten zwischenmenschlichen Angelegenheiten fließend Konsens sprechen. Als Typ, der in erster Linie mit anderen Typen schläft, lande ich deshalb sehr viel häufiger mit Leuten im Bett, die vielleicht mal an einem Konsensworkshop teilgenommen haben aber eher nicht mit jemandem, der einen angeleitet hat. Solange Männer das Thema Konsens nicht ganz genauso zu einer Priorität machen und sich ernsthaft damit beschäftigen, wird das Thema vermutlich bei Typen die mit Typen schlafen, weiterhin zu wenig Beachtung finden. Natürlich heißt das nicht, dass Männer die Selbstorganisierung in Bezug auf Konsens und die Wissensweitergabe an sich reißen sollen (wie es mit so vielen Gruppen und Kämpfen passiert ist). Sondern vielmehr, dass wir Männer unsere Verantwortung und unseren Anteil daran wahrnehmen, einvernehmliches Verhalten in allen Bereichen unseres Lebens zu fördern und zu gestalten und gleichermaßen daran teilnehmen, auf diesen Wandel auf gemeinschaftlicher Ebene hinzuarbeiten.

 Und eine weitere bedauernswerte und frustrierende Dynamik, die zu erklären hilft warum anarchistische/Punk-Konsens-Normen nicht stärker auf queere Männer abge-färbt haben, ist, dass viele Diskussionen/-Workshops und ähnliches sexuellen Konsens immer noch in einem krassen hetero-Rahmen thematisieren. Ich habe erlebt, dass über Konsens geredet wurde, als sei es Teil der Verantwortung eines Mannes, Frauen zu beschützen. Fast wie eine Art seltsame, ritterliche Tugend – anstatt einer gemeinsamen Verantwortung, die von Partner_innen egal welchen Genders übernom-men wird und auf Gegenseitigkeit beruht. Selbst Genderneutrale Vorträge basieren üblicherweise auf Hetero-Erfahrungen und beziehen sich fast nie auf explizit gleichgeschlechtliche Situationen. Versteht mich an dieser Stelle nicht falsch – mir ist bewusst, dass ein Großteil sexualisierter Gewalt von Leuten ausgeht, die männlich sozialisiert wurden, und gegen Personen gerichtet ist, die weiblich sozialisiert wurden. Deshalb ist es wichtig, die Botschaften an hetero-Männer zu richten, damit sie ermutigt werden, einvernehmlicher zu handeln. Ebenso ergibt es Sinn, dass die Leute, die diese Botschaften gestalten und vermitteln (was meiner Erfahrung nach haupt-sächlich Frauen sind und deren Partner meist hetero-Typen sind) ein offensichtliches Interesse daran haben, ihre aktuellen und potenziellen Partner dazu anzuregen, mehr über Konsens nachzudenken. Aber darin liegt das Problem: Der Ausschluss queerer Beziehungen und gleichgeschlechtlicher Sexualität aus Zustimmungskonzepten bedeutet, dass wirklich wichtige Botschaften bei uns Typen, die Typen lieben, nicht ankommen. Botschaften, die unsere Sexualität in positiver Weise verändern könnten. Und das bringt eine Menge negativer Konsequenzen mit sich.

Auch in meinem eigenen Leben und meinen sexuellen Verhältnissen hab ich das Gefühl gehabt, dass achtsamer verbaler Konsens in sexuellen Situationen mit Frauen notwendiger oder wichtiger war als mit Männern. Warum? Ich denke, teilweise ist das verinnerlichte Homofeindlichkeit – die Vorstellung, dass queerer Sex und queere Beziehungen nicht so wichtig oder “echt” sind wie hetero-Sex und -Beziehungen, und deshalb nicht die gleiche Fürsorge und Rücksicht zwischen Partner_innen erfordern. Und teilweise auch, weil von der anarchistischen/punk Welt fast nie Pro-Konsens-Botschaften an uns queere Typen gerichtet werden. Ich habe sexuelle Begegnungen mit Männern gehabt, die sich weit weniger kommunikativ oder einvernehmlich angefühlt haben, als das, was mich die Erzählungen ihrer anderen Partnerinnen hatten erwarten lassen. Ebenso habe ich erlebt, wie Formen von Belästigung, Objektifizierung◀ und Grenzüberschreitungen eines Mannes gegenüber einem Anderen verharmlost, belächelt, oder sogar angestachelt wurden, während ähnliche Verhaltensweisen von einem Mann gegenüber einer Frau sofort verurteilt worden wären. Offensichtlich haben wir es, trotz all den tollen Fortschritten, was sexuelle Normen bezüglich Konsens in unserer Szene betrifft, nicht immer geschafft, diese Veränderungen bedeutsam für queere Männer zu machen – und von schwulen Mainstream-Botschaften über Sex bekommen wir auch nicht viel Pro-Konsens-Unterstützung (darüber werde ich gleich noch sprechen). Neben den Normen, die ich von anarchistischen/punk Partner_innen und durch unsere Infrastruktur aus Konsens-Zines, -Workshops und -Diskussionen etc. gelernt habe, habe ich in der schwulen/bi Szene einige andere und oft ganz verschiedene Dinge über Konsens und Sex gelernt.

Was ich in der schwulen/bi Szene gelernt habe

Von schwulen und bi-Männern habe ich gelernt, wie grundlegend wichtig Safer Sex◀ Praktiken sind. Gleich nach meinem Outing hatte ich ältere Mentoren und Gleichaltrige, die offen mit mir über die Freuden und Risiken von Sex gesprochen haben. Ich erfuhr von Orten und Organisationen, wo ich Kondome und Gleitgel bekommen konnte und bekam ein beachtliches Bewusstsein und Aufklärung rund um HIV und andere Geschlechtskrankheiten und wie sie übertragen werden, sowie ein geschichtliches Verständnis davon, wie unglaublich zerstörerisch sich die Verluste durch die AIDS Epidemie für schwule und bi Personen und Gemeinschaften erwiesen haben. Ich habe auch gelernt, die Verschiedenheit von Geschmäckern und Vorlieben von Leuten in Bezug auf Sex zu akzeptieren und möglichst wenig zu verurteilen, von BDSM◀ über Fetische◀ über Sex mit Fremden bis hinzu Sex mit mehreren Partner_innen. Ich habe gelernt, dass wir offen über Begehren und Sexualität zwischen verschiedenen Generationen sprechen können, ohne zu verleugnen und ohne eine Sensation daraus zu machen. Ich habe gelernt, dass One Night Stands fast überall zu finden sind, in Bars, auf der Straße, in Parks, im Internet und so ziemlich überall, wo Männer zusammenkommen. Und ich hab gelernt, dass niemand außer mir selbst meine Begehren und Wünsche definieren kann, dass ich gemeinsam mit meinen queeren Verbündeten alles von mir weisen kann, was “Expert_innen” über uns zu sagen versuchen und dass freie, offene Ausdrucksformen von Sexualität Teil eines revolutionären Kampfes sein können, um die Gesellschaft von Grund auf zu verändern.

Gleichzeitig habe ich sexuelles Konsumverhalten in seinen schlimmsten Formen erlebt: Ein System von Internetseiten und Nischenpornos, das Menschen auf eine Ansammlung von Merkmalen, Statistiken und Mengen reduziert hat. Ich habe erlebt, dass rassistische “Vorlieben”, Körperfaschismus, Feminitätsfeindlichkeit◀ und eine Rangordnung von Schwanzgrößen als neutral, unpolitisch und jenseits von Kritik akzeptiert wurden, weil: “wir stehen halt auf die Dinge, auf die wir nunmal stehen, das ist alles.” Ich lernte, mich über meine Sexualität zu definieren und bekam Bestätigung für meine Identität und meinen Selbstwert darüber, wie viele und welche Sexpartner ich hatte. Mit anderen Worten: Ich habe in Bezug auf Sex einige der schmerzhaftesten Aspekte von Männlichkeit in der schwulen Szene erlebt – und dazu kommen ja noch die gleichen Botschaften aus dem vorherrschenden Mainstream und den entsprechenden Medien, denen die meisten männlich sozialisierten Menschen ausgesetzt waren. Dieses widersprüchliche Vermächtnis, das ich von der Sexkultur von schwulen und bi Männern geerbt habe, formt meine Wünsche und Begehren und wie ich sie erlebe, und es bildet die Grundlage dessen, was Konsens für mich ausmacht.

Schwule/Bi Männer und verbaler Konsens

Ein unangenehmer, beständiger Teil meiner Erfahrungen ist, dass ich unter schwulen/bi Männern nicht viele getroffen habe, die verbalen Konsens bevorzugen. Einige mir bekannte Anarchist_innen sagen, dass jede Form von Sex ohne verbalen Konsens Gewalt sei. Einerseits hat das etwas frustrierend autoritäres an sich, wenn doch die Normen einer der zentralsten sexuellen Subkulturen in meinem Leben diese Art des Umgangs doch fast nie zulassen oder wertschätzen. Gleichzeitig war es einer der bestätigendsten, bestärkendsten und befreiendsten (und nicht zu vergessen HEISSESTEN!) Aspekte meiner sexuellen Geschichte, queere Männer zu treffen, die genau die Form von verbalem Konsens und sexueller Kommunikation schätzen und praktizieren, die für mich am besten funktioniert. Die Seltenheit dessen hilft mir zu erkennen, dass die Menschen, die ich treffe und die es so mögen, wie ich es mag, wahrscheinlich ziemlich außergewöhnliche Personen sind. Aber warum gibt es so wenige schwule Männer (zumindest unter denen, die mir begegnet sind), die verbalen Konsens beim Sex schätzen und praktizieren? Ich kann mir ein paar Gründe vorstellen.

Ein Punkt ist, dass für viele Männer, die Sex mit Männern mögen, dieses Vergnügen mit Schuld, Geheimhaltung, Verleugnung und anderen schmerzhaften Gefühlen belastet ist, welche ihnen durch die Sozialisation in einer homofeindlichen Gesellschaft aufgezwungen wurden. Deshalb finden manche Typen es UNGLAUBLICH schwer, offen über ihre Sehnsüchte zu kommunizieren. Manche finden es abstoßend, die Dinge, die sie machen oder nach denen sie sich sehnen, auszusprechen und können es auch nicht ertragen, wenn andere sie aussprechen. Vor allem für Typen, die heimlich schwul sind oder die sich als hetero identifizieren, würde das Sprechen über Begehren bedeuten, Schwulsein auf eine Art und Weise an sich heranzulassen, mit der sie nicht klarkommen. Deshalb ist ihre einzige Möglichkeit, ihre Fantasien auszuleben, mit Körpersprache und Taten zu kommunizieren, oft durch den Filter von Alkohol oder Drogen. Sogar Männer, die sich mit ihrem gleichgeschlechtlichen Begehren und Verhalten wohl fühlen, haben oft feststellen müssen, dass ihre Partner das nicht immer tun, und finden es meist sexuell vielversprechender (oder sogar körperlich sicherer) einfach zu handeln und das Unaussprechliche unausgesprochen zu lassen. Besonders bei Handlungen, die noch stärker gesellschaftlich abgewertet werden, weil sie als “feminin” gelten, wie zum Beispiel anal gefickt zu werden, kann sich ein Aussprechen der eigenen Wünsche auf eine Art und Weise erniedrigend anfühlen, die vom Spaß der Handlung an sich ablenkt.

 Ein anderer Grund, warum das Sich-Absprechen weniger wichtig erscheint, ist, dass ein erheblicher Teil von schwulem Sex über Dating-Seiten im Internet oder in Parks ausgemacht wird – Begegnungen, die nur auf eine begrenzte Zeit ausgelegt und explizit sexuell sind. Wenn ich mit jemandem auf Manhunt.net chatte oder wir uns im Park schöne Augen machen und ich dann in seine Wohnung komme, wissen wir beide, dass es nur aus einem einzigen Grund ist. Deshalb nehmen viele an, dass Zustimmung bereits von vornherein durch die bloße Anwesenheit erteilt wurde. Oft, vor allem online, einigen die Beteiligten sich vorher auf ihre gewünschten Rollen und Aktivitäten, so dass dadurch weniger Raum für Unklarheit bleibt. Natürlich existiert eine ganze Welt von Nuancen jenseits von gegenseitigem Begehren, welche Konsens komplizierter macht. Aber in einem sexuellen Rahmen, der oft flüchtige, explizit sexuelle, vorher vereinbarte Begegnungen beinhaltet, ist es nicht immer so wesentlich wie bei anderen sexuellen Begegnungen, dass Dinge im jeweiligen Moment selbst besprochen werden.

Noch ein weiterer Grund, warum verbaler Konsens unter Männern, die Sex miteinander haben, keine größere Rolle einnimmt, ist, dass sich die sexuelle Sozialisation durch die mainstream Kultur (bezüglich Männlichkeit und Begehren) ein Stück weit in den sexuellen Umgangsformen der schwulen Szene spiegelt. “Echte” Männer (die wir natürlich in erster Linie begehren sollen, wenn wir Männer lieben) sind die, die die Führung übernehmen, die wissen, was sie wollen und es bekommen. Aktiv = männlich. Viele schwule Männer, die ich kenne, sagen, dass sie sich nach einem Mann sehnen, der aggressiv mit ihnen umgeht, der beim Sex die Führung übernimmt und sie schlichtweg umhaut. Erst nachzufragen, nicht zu behaupten, problemlos die Gedanken deiner Partner lesen zu können und den Bedürfnissen und Grenzen einer anderen Person Aufmerksamkeit zu schenken, hat etwas verdächtig feminines an sich. Und in einer oft Frauen- und Femme-feindlichen◀ schwulen Szene ist nichts weniger sexy, als das, was feminin ist.

Weil die dominante hetero-Kultur um uns herum die Männlichkeit von uns schwulen und bi-Männern ständig anzweifelt, entwertet und abstreitet, versuchen viele von uns, das zu kompensieren, indem wir alles ablehnen, was weiblich oder feminin gilt. Leider zeigt sich das oft auf verletzende, sexistische Art und Weisen, von unverholener Frauenfeindlichkeit, Respektlosigkeit gegenüber Frauen und Ausschluss von Frauen bis hin zu der Ablehnung von Partnern, deren Männlichkeit nicht so ganz den Normen entspricht. In Wirklichkeit begehren schwule und bi-Männer aber Männer mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften – und auch wir Femmes◀ wissen, dass wir trotzdem ziemlich oft flachgelegt werden – obwohl sie sich alle verhalten, wie es in der Hetero-Norm als männlich gilt und tun, als ob sie nur an “echten” Männern interessiert seien. Dennoch dominieren maskuline Standards, wenn es darum geht, was wertgeschätzt wird und was sozial akzeptiert wird. Ein Teil davon beinhaltet den Druck, Gedanken lesen zu können und den Partner befriedigen zu können, ohne nachfragen zu müssen. Schwule und bi Männer tragen zu beiden Seiten dieser Dynamik bei, sowohl der dominante Butch◀ Kerl, der mit Taten statt mit Worten beeindrucken will, als auch der Typ, den es abtörnt, wenn jemand nicht einfach die Sache in die Hand nimmt, sondern kommuniziert und zwischendurch nachfragt.

EINDEUTIGER KONSENS FÜR HEISSE SCHWULE ACTION

Nun, angesichts all dieser Steine, die verbalem Konsens im Weg liegen, wie sieht eine heiße schwule Begegnung mit eindeutigem Konsens aus? Also, das ist für alle unterschiedlich, aber zumindest für mich gibt es ein paar Schlüsselelemente. Es gibt viele Zines und Essays, die die wichtigsten Grundlagen umreißen: Deine eigenen Grenzen vorher zu kennen; vor jeder neuen sexuellen Handlung nachzufragen; auf körpersprachliche und andere nonverbale Zeichen ebenso zu achten wie auf verbale; dass alle Beteiligten nüchtern genug sind, um zu checken, was grad passiert, und all diese wichtigen Dinge. Ich will noch ein paar andere Sachen hinzufügen, die ich extra im Hinblick auf queere Typen formuliert hab. So ziemlich alle davon sind für Menschen aller Gender und aller sexuellen Orientierungen wichtig, aber sie sind aus meinen spezifischen Erfahrungen als Typ, der mit Typen rummacht, entstanden. Also wenn du vor hast, einen Süßen abzuschleppen, hier ein paar meiner Gedanken dazu:

RESPEKTIERE DICH SELBST

So schnulzig wie es klingen mag, das ist bei Weitem der wichtigste Teil. Wir queeren Menschen, die sich selbst respektieren und lieben, denken eher über unsere Grenzen nach, legen sie fest und lassen uns nicht von ihnen abbringen. Wir bestehen eher auf Safer Sex und brechen eine zwielichtig wirkende Begegnung wahrscheinlich lieber ab, in dem Wissen, dass wir woanders Liebe, Bestätigung und Orgasmen finden werden. Es ist so schwer herauszufinden, was Zustimmung bedeutet, geschweige denn sie zu geben und zu bekommen, wenn wir nicht zuerst selbst daran glauben, dass wir es WERT sind Respekt in Form von Konsens entgegengebracht zu bekommen. Also nimm dir bitte die Zeit, dich selbst lieben zu lernen – du bist es wert!

BESPRICH SAFER SEX ZUERST

Nimm deine Gesundheit nicht auf die leichte Schulter. Bevor ihr anfangt euch einen Kopf über Positionen oder Rollen zu machen, klärt erst grundsätzliches zu Safer Sex. Kenne deine Grenzen, kommuniziere sie deutlich und mach keine Kompromisse – auch wenn die Person eeeecht heiß ist, oder darauf besteht, ohne Kondom nicht kommen zu können, ja selbst wenn die Person dich ihr keinen blasen lässt, solange du auf ein Kondom bestehst, ganz egal was. Hab immer Kondome dabei oder in Reichweite, wenn die Möglichkeit auf Sex besteht – verlass dich nicht drauf, dass deine Partner_innen welche dabei haben. Lass dich regelmäßig testen, und wenn du eine_n feste_n Partner_in hast, geh sicher, dass die Person das auch macht. Mutmaße nicht über den HIV Status von Menschen oder andere Geschlechtskrankheiten und geh auch nicht davon aus, dass sie dir die ganze Wahrheit sagen. Denk dran, dass du dich bei Handlungen, durch die HIV nicht übertragen wird, immernoch mit anderen schmerzhaften oder sogar unheilbaren Krankheiten anstecken kannst (Syphilis, Herpes, usw.) und dass gesund bleiben bedeutet, (weitere) Infektionen zu vermeiden, auch wenn du schon HIV positiv bist. Geh sicher, dass du nur zum Sex zustimmst, nicht zu einer Infektion oder Krankheit, die ein Leben lang bleiben kann.

FRAG, WELCHE ART VON KONSENS DIE PERSON MAG

Fakt ist, manche Leute mögen einfach keinen verbalen Konsens. Vielleicht aus Gründen, die ich weiter oben beschrieben habe; vielleicht, weil sie einige der scheiß Mainstream-Prägungen nicht hinterfragt haben, die sie von den Medien und der Popkultur und so weiter mitbekommen haben; vielleicht aus vollkommen anderen und berechtigten Gründen, die du nicht verstehst, weil du den Kontext nicht kennst. Auf jeden Fall ist es wichtig, dass du weißt, was sich für dich gut anfühlt – wenn du ohne klaren, konsequent verbalen Konsens kein gutes Erlebnis haben kannst, dann solltest du vielleicht nicht mit einer Person ins Bett hüpfen, die nicht bereit ist, das auszuprobieren. Also frag vorher nach, schätz ein wie eine Person ihre Begehren, Vorlieben und Grenzen am liebsten kommuniziert – und sei selbstbewusst genug, um nein danke zu sagen, wenn es nicht zusammenpasst.

FICKE MIT LEUTEN, DIE SICH ZU IHRER SEXUELLEN ORIENTIERUNG BEKENNEN

Das hier ist ein Vorschlag, der bestimmt streitbar ist, aber er kommt aus meiner Erfahrung: Es ist unter Umständen den Ärger nicht wert, mit Typen rumzumachen, die sich mit ihrer Sexualität nicht wohl genug fühlen, um sagen zu können, was sie wollen. Es mit hetero Typen zu tun, mag heiß sein und dein Ego ankurbeln, weil du weißt, dass du den Unflachlegbaren flachgelegt hast, aber meiner Erfahrung nach ist es das meist nicht wert. Erspar dir den Ärger und mach mit Leuten rum, die sich wohl genug mit sich selbst und ihren Begehren fühlen, um offen über sie sprechen zu können. Es kommt nicht drauf an, welche Identität oder welches Label sie für sich verwenden. Worauf es ankommt ist, ob sie offen darüber kommunizieren können, was sie möchten – ohne dass sie dafür erst betrunken sein müssen – oder ob sie sich stattdessen still durch unbeholfenen Sex hindurchwursteln. Es ist auch sicherer: nimm dich zum Beispiel vor Typen in Acht, die dich ihnen einen blasen lassen, aber nach dem Orgasmus einen homofeindlichen Wutanfall bekommen.

BEKÄMPFE HOMOFEINDLICHKEIT UND HETEROSEXISMUS◀

Eins der wesentlichen Dinge, die uns daran hindern, frei und einvernehmlich zu lieben, ist das unterdrückende System dieser Gesellschaft, das dafür sorgt, dass wir uns selbst und unsere Begehren hassen. Aber es gibt millionen tolle Wege, es zu bekämpfen! Zuallererst können wir uns zu uns bekennen und offen als die Menschen leben, die wir sind – jede Person macht es ein bisschen leichter für alle anderen. Wir können uns organisieren und dafür kämpfen, dass uns die gleichen Rechte, Anerkennung und Respekt entgegengebracht werden, wie den Heter@s, aber wir müssen uns nicht an ihre Normen wie Monogamie, Ehe und Kleinfamilie anpassen. Wir können die offensichtlichen und die subtilen Art und Weisen in Frage stellen, auf die queere Menschen ausgeschlossen werden – zum Beispiel, indem wir fordern, dass Diskussionen und Workshops zu Konsens in einem Genderneutralen Rahmen stattfinden und dass darin auch queere Lebensweisen vorkommen. Wir können Räume schaffen, in denen queere Jugendliche ein bisschen freier sein können, wir können sie als sexuelle Wesen anerkennen ohne sie auszubeuten, wir können sie unterstützen und ihnen Vorbilder sein. Und scheiß auf homofeindliche religiöse Arschlöcher – wir können uns weigern, fundamentalistische Kackscheiße zu tolerieren, die uns im Namen der Bibel, irgendeines Gottes oder irgendeines Predigers unsere Menschlichkeit abspricht. Wir können uns weigern, diese beschissenen Vorstellungen davon, was “natürlich” sei, hinzunehmen. All das sind miteinander zusammen-hängende Dinge, die wir tun können, um die Gesellschaft zu verändern; um mehr Raum zu schaffen, wo wir uns offen zu den Dingen, die wir sexuell möchten, bekennen und nach ihnen fragen können. Denn das schafft die Grundlage, auf der sexueller Konsens aufgebaut und selbstverständlich werden kann.

TRIFF ABMACHUNGEN ONLINE

Ob das nun gut oder schlecht ist, eine Menge Sex zwischen Männern wird im Internet ausgemacht. Manche denken, dass das teilweise daran liegt, dass die Zwänge einer homofeindlichen Gesellschaft verhindern, dass wir uns so offen wie hetero-Leute treffen können. Ob das nun der Fall ist oder nicht, es ist jedenfalls die Realität, mit der wir es zu tun haben, und wir können sie nutzen, um das Zustimmungskonzept zu verbreiten. Wenn wir über einen Bildschirm mit einer Person reden, haben wir vielleicht weniger Angst vor Zurückweisung oder weniger Hemmungen, direkt zu sein – oder was auch immer es ist, das es so schwierig macht, über Konsens zu sprechen. Und so scheiße auch der Aspekt des Konsums bei Online-Sex sein mag: die endlosen Reihen an Einträgen sind auch eine Erinnerung daran, dass wir jederzeit woanders Sex finden können, wenn wir uns mit einer Person nicht wohlfühlen. Indem wir in unseren Anzeigen oder Profilen unsere Vorlieben angeben und im Vorhinein mit Menschen über genau die Art von Sex chatten, die wir haben wollen, können wir bezüglich Konsens das festlegen, was sich am besten für uns anfühlt. Das Risiko ist natürlich, dass die vorher ausgemachten Vereinbarungen darüber, was und wie ihr es machen wollt, dazu führen können, dass die Person (oder du) glaubt, dass es jetzt nicht mehr nötig ist zwischendrin nachzufragen, auf Körpersprache und andere nonverbale Signale zu achten, Raum zu schaffen, um eine Pause zu machen oder ganz aufzuhören, wenn sich was nicht gut anfühlt. Aber wenn wir uns entscheiden, das Internet zu nutzen, können wir es dazu verwenden, um unter weniger Druck im Vorhinein Konsenspraktiken zu vereinbaren, die unseren eigenen Bedürfnissen und Idealen entsprechen.

DENK ÜBER KONSENS UND GENDER NACH

Für mich bedeutet echter Konsens auch, sich über Genderrollen in sexuellen Kontexten bewusst zu werden und sie nicht einfach so hinzunehmen. Ich weiß, dass ich der Einvernehmlichkeit in einer sexuellen Situation nicht trauen kann, wenn alles – angefangen damit, was wir zusammen machen und wer es vorschlägt, bis hin zu der Frage, wer wodurch penetriert wird – mehr von erlernten Genderrollen (vorher)bestimmt ist, die uns ersticken, als von unseren eigenen Wünschen, Bedürfnissen, Vorlieben und Grenzen. Der Einfluss dieser Sozialisation zeigt sich am deutlichsten beim Sex zwischen verschiedenen Geschlechtern, taucht aber auch in gleichgeschlechtlichen Abenteuern auf. Zum Beispiel, wenn bei einem gleichgeschlechtlichen Paar eine Person eher maskulin oder Butch ist, schreiben Gender-Normen vielleicht vor, dass diese Person nicht penetriert werden sollte, oder dass diese Person die Führung übernehmen sollte oder sich aufgrund dieser Gender-Dynamiken auf eine bestimmte Art und Weise verhalten sollte. Das ist verständlich: in einer Mainstream hetero-Kultur, die Geschlecht so begrenzt begreift, dass sie gleichge-schlechtliche Paare fragt, wer “der Mann” oder wer “die Frau” sei, ist es schwer, die ständige Ablehnung und das Spotten über unser Recht auf Selbstbestimmung in Sachen Sexualität und Gender nicht zu übernehmen. Damit Sex für mich wirklich einvernehmlich ist, muss ich mir jedenfalls sicher sein, dass alle Beteiligten ein gewisses Bewusstsein darüber haben, wie Gender unsere Erwartungen an unsere Handlungen beeinflusst. Und außerdem, dass wir uns alle entschieden haben, diese uns auferlegten Erwartungen zurückzuweisen, um uns stattdessen lieber auf unsere tatsächlichen Wünsche zu konzentrieren – unabhängig von dem Gender der Person, mit der ich heiße Begegnungen hab, und unabhängig davon, ob ich einen pinken Minirock trage oder Overall und Stiefel (oder beides!).

(Aber klar, manchmal fallen unsere Wünsche und Begehren vielleicht mit krass sexistischen Gender-Vorstellungen zusammen, und vielleicht fühlt sich das nicht so gut an für selbsternannte Radikale, die Gender-Vorstellungen zwar hinterfragen aber ohne scheinbar nicht ficken können. Wir können in Schuld versinken und uns selbst für unsere “verbotenen” Verlangen scheiße finden, genauso, wie der christliche anti-Sex Scheißdreck das von uns möchte. Oder wir können unsere konventionellsten Begehren stur verteidigen, ohne uns mit den patriarchalen◀ und gewaltvollen Mustern auseinanderzusetzen, die scheinbar durch diese Begehren aufrecht erhalten werden. Ich habe herausgefunden, dass das einzige, was sich in dieser ausweglosen Situation für mich gut anfühlt, ist, mit meinen Partner_innen einfach so ehrlich wie ich kann über meine Wünsche und Begehren zu sprechen, wie ich mich damit fühle und wie sie sich in meinen Ansichten wiederfinden oder auch nicht, und von dort aus dann zu überlegen, wie es weitergeht. Es geht mir nicht darum, unsere Begehren unseren politischen Ansprüchen anzupassen – Begehren wird sich nie soweit unterwerfen, dass es sich in so ordentliche ideologische Konstrukte hineinpressen lässt. Es geht meiner Meinung nach darum, sich auf den Weg zu machen, so einvernehmlich und kritisch und ehrlich zu werden, und uns so sehr selbst zu lieben, wie es geht. Wenn es Schönheit gibt, die wir in dieser beschissenen Gesellschaft zwischen unseren bebenden Körpern finden können, dann liegt sie vielleicht auf diesem Weg.)

 SETZ DICH MIT DER ROLLE AUSEINANDER, DIE SEX GENERELL IN DEINEM LEBEN SPIELT

Wirklicher, umfassender, lebensbejahender Konsens benötigt für mich auch Bewusstsein darüber, welche Rolle Sex im Generellen, und einzelne sexuelle Begegnungen im Besonderen, in meinem Leben spielen. Zu unterschiedlichen Zeiten habe ich aus vielen unterschiedlichen Gründen verschiedene Arten von Sex ersehnt, angestrebt und gehabt: Geilheit, innige Liebe und emotionale Verbundenheit, Einsamkeit, Neugier, liebevolle Freund_innenschaft, Abenteuerlust und das Gefühl, herausgefordert zu werden, Langeweile, oder Gleichgültigkeit gegenüber den starken Gefühlen einer anderen Person. Oder weil ich einer Person gefallen wollte, es vermei-den wollte Gefühle zu verletzen, Ressourcen brauchte, über die eine andere Person verfügte (Geld für die nächste Miete, ein Ort zum Übernachten, Status oder Ansehen), dem Druck männlicher Sozialisation ausgesetzt war, eine andere Person beeindrucken wollte, sozialen Normen entsprechen wollte, eine stockende Beziehung am Leben erhalten wollte, eine dritte Person verletzen wollte oder weil ich unangenehmes Schweigen vermeiden wollte.. und das sind nur die Gründe, die mir bewusst sind! Kann ich mir sicher sein, dass ich oder auch meine Partner_in/nen uns frei und enthusiastisch dafür entscheiden, Sex zu haben, wenn wir uns nicht über unsere Motivationen hinter unseren Wünschen, Begehren und Entscheidungen bewusst sind? Klar kann es passieren, dass wir uns so darin verlieren, uns über unsere Motivationen den Kopf zu zerbrechen, dass wir alles überanalysieren und nie den Mut zum Küssen finden! Auch wenn ich dieses Extrem meide, habe ich herausgefunden, dass es echt wichtig für mich ist, in nicht-sexuellen Momenten mit anderen, und vor allem mit mir selbst, einen fortlaufenden Dialog darüber zu haben, wie Sex und Sexualität in mein aktuelles Leben passen. Auf diese Art und Weise kann ich, wenn mich das Verlangen packt oder sich eine Möglichkeit ergibt, eine Entscheidung treffen, die auf einem ganzheitlicheren Verständnis von mir selbst beruht und die besser wiedergibt, wie ich mich bezüglich einer bestimmten Begegnung fühle.

 Das betrifft natürlich Menschen aller Gender und aller sexuellen Orientierungen, aber kommt teilweise daher, dass ich den Druck erkannt habe, der auf schwulen Männern lastet, sich über Sex als Teil der schwulen Szene zu definieren. Manchmal wollte ich Sex haben, um mein Gefühl des Schwulseins zu verstärken, um das Gefühl der Verbundenheit mit der Szene zu bestätigen, das ich habe, weil ich mich als queer identifiziere. Aber wonach ich mich all diese Male gesehnt habe, war nicht Sex, sondern das wohlige Gefühl von Einbezogensein und Bestätigung. Das Gefühl, das ich habe, wenn ich Teil einer Gemeinschaft bin. Diese Erkenntnis hat mich ziemlich umgehauen und hat dazu geführt, dass ich mir schwierige Fragen darüber gestellt habe, ob der Sex, den ich aus diesen Wünschen heraus hatte, im tieferen Sinne wirklich einvernehmlich war. Ich denke, das Wichtige ist, dass ich jetzt auf einer ganz anderen Ebene über Konsens nachdenke, einer, auf der ich bei meiner Entscheidungsfindung den ganzen Kontext von mir selbst und meinem Leben mitdenke. Es ist kompliziert, aber letztendlich tut es mir wirklich gut.

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 Jedenfalls, zurück zu mir und E. Ich lächelte und atmete aus, und fühlte mich erleichterter als mir bewusst gewesen war, viel mehr als es in diesem heißen und geilen Moment Sinn ergab – bevor ich die Zeit gehabt hatte, drauf zurückzuschauen und wertzuschätzen, wieviel diese Aussage mir bedeutete. Ich mochte E., weil er auf mich stand, weil er ein Flirt war und eine Schlampe und verführerisch charmant. Aber ob ich es nun erwartet hätte oder nicht, ich mochte es VIEL, viel mehr, dass er mich wissen ließ, dass er wollte, dass ich mehr als nur ein Körper bin, an dem er sich befriedigt – er wollte eine Verbindung zu mir erleben, die unsere Körper mit einschloss, aber darüber hinaus ging. Um mich klar auszudrücken: Ich will damit keine Menschen verurteilen, die ihre Sexualität am liebsten viel anonymer ausleben, oder weniger an nicht-körperliche Ebenen geknüpft. Ich will damit bloß anerkennen, dass sich mein Verständnis von Konsens in dem Moment erweitern musste, in dem ich mir eingestand, dass Einvernehmlichkeit mehr für mich bedeutete, als einfach geil zu werden und dann rumzumachen – selbst mit diesem umwerfenden Typ, den ich ziemlich heiß fand und mit dem ich mit Freuden eine ganze Reihe schmutziger Sachen gemacht hätte. Für mich bedeutete Einvernehmlichkeit in diesem Moment ein gegenseitiges Anerkennen und Bejahen unserer Menschlichkeit, auf eine Art und Weise, die es mir – oder ihm – wirklich ermöglichte, “ja” oder “nein” oder “lass uns warten” oder so viele andere Dinge zu sagen. Es bedeutete, sowohl auf meinen Körper als auch auf mein Herz als auch auf meinen Kopf zu hören, und zu erkennen, dass ich diese Teile meines Selbst nicht einfach abtrennen kann, denn sie sind alle Teil dessen, was mich ausmacht.

So, jetzt habt ihr einen Einblick in meine Perspektiven auf Konsens für Typen, die mit Typen rummachen. Ich freue mich über Gedanken oder Rückmeldungen zu diesem Artikel an xriotfagx@riseup.net

 Die besten Wünsche für eine Welt voller heißer, queerer Liebe

Nikita