Sicher zurück

 

Ich bin in einer Beziehung, die ich als super-einvernehmlich bezeichnen würde.
Wir sprechen über Konsens und versuchen Einvernehmlichkeit überall zu leben:
wenn wir im Bett sind, wenn wir nicht im Bett sind, in Briefen, übers Telefon …
es zieht sich durch unsere ganze Beziehung. Es ist der Boden für unsere
Entwicklung. Von dort aus können wir erkennen, wie unsere Beziehung wächst,
sich verändert und immer intimer wird. Wir sprechen über Sprache – welche
Sprache uns empowert◀, mit welcher Sprache wir uns wohl fühlen. Ich fühle
mich wohl damit, “Brüste” zu sagen, sie nicht. Sie fühlt sich wohl damit, “Vagina”
zu sagen, ich nicht. Es ist ok, zwei Wortschätze zu haben, einen für ihren und
einen für meinen Körper. Wir sprechen über Formulierungen und über
Bedeutungen, die mitschwingen. Wir versuchen zu sagen “Möchtest du, dass
ich … mache?” anstatt “Kann ich … machen?” Wir können viele Dinge tun und sie
müssen auch nicht unbedingt unangenehm sein – aber wollen wir sie auch?
Wir kämpfen mit einem Ungleichgewicht, wer den Anstoß gibt – die
gesellschaftlichen Normen und Erwartungen, mit denen wir aufgewachsen sind,
haben wir so sehr verinnerlicht, dass es uns manchmal nicht nur schwer fällt,
Worte für unsere Wünsche zu finden und diese auszudrücken, sondern uns
überhaupt erst einmal dieser Wünsche bewusst zu werden. Neulich habe ich sie
nachts am Telefon gefragt, ob sie es mag, wie ich ihren Körper anfasse, während
wir uns küssen, weil ich mir nicht immer sicher bin. Sie hat ja gesagt, aber dass es
ihr wichtig sei, dass ich öfter nachfrage und besonders vor bestimmten
Berührungen erst ihre Zustimmung einhole. Solche Gespräche führen wir öfter,
weil ich nie einfach leichtfertig annehme, dass alles schon irgendwie ok sein wird.
Ein Teil von mir war so glücklich und erleichtert darüber, dass sie es mir gesagt
hat. Mir gesagt hat, dass ich an den Dingen, die ich tue, arbeiten muss. Aber ein
anderer Teil von mir wollte weinen und sie nie wieder anfassen, aus Angst ihr
wehgetan zu haben und das nicht rückgängig machen zu können. Ein Teil von
mir hasste mich dafür. Das sind Dinge, mit denen wir kämpfen… aushandeln,
zusammen lernen, akzeptieren, dass wir uns in einem Prozess befinden und nicht
perfekt sind … akzeptieren, dass wir es eben versuchen. Versuchen, in einer
Beziehung zu sein, auf eine Weise, die kulturell nicht vorgesehen ist… in einer
Beziehung, in der wir uns über Liebe und gute Absichten hinaus bewegen und
uns auf Entwicklung, Kommunikation, Verletzlichkeit, Ausprobieren… einlassen.

 
Wie gehen alles langsam an. Zwischendrin hört sie auf mich zu küssen, schaut
mir in die Augen und fragt: “Wie gehts dir?”. Sie hält inne, um nach meinem
Einverständis zu fragen, obwohl ich immer ja sage, und das gibt mir das Gefühl,
respektiert zu werden. Es gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Weil ich im
Hinterkopf weiß, dass, wenn ich mich aus irgendeinem Grund nicht mehr wohl
fühlen sollte und ich das aus irgendeinem Grund nicht aussprechen können sollte,
sie mich nochmal fragen wird und es dann Raum gibt, aufzuhören oder die
Sache langsamer anzugehen. Ich fühle mich nicht mehr so gefangen wie früher,
so nach dem Motto: “Jetzt bin ich schon so weit gegangen, jetzt gibt es kein
Zurück mehr.” Sie gibt mir bei jedem neuen Schritt die Wahl, und nur weil wir
etwas schon einmal gemacht haben, bedeutet das nicht, dass sie mich beim
nächsten Mal nicht erneut um Erlaubnis fragen wird.

 
Konsens kann unglaublich Angst machen, weil du dich für die Möglichkeit
öffnest, Ablehnung zu erfahren. Du erschaffst einen sicheren Ort, einen Ort, an
dem dein*e Partner*in nein sagen kann. Aber was so heiß, so empowernd, so
unglaublich fantastisch an Konsens ist: dass ein “Ja” wirklich zu einem “Ja” wird.
Das erste Mal, wenn du ein Nein hörst, bestätigt es alle Ja`s. Das erste Mal, wenn
du ein Nein hörst, ist es nicht wirklich Ablehnung oder irgendeine Art von
Versagen. Es ist eine Bestätigung, dass ein Ja wirklich ein Ja ist und dass dir gesagt
wird, wenn es anders ist. Die Ja’s werden erotisch und die Neins sind Zeichen von
Sicherheit und von Vertrauen, das aufgebaut wurde, Zeichen dafür, dass Konsens
wirklich funktioniert und dass das, was ihr tut, richtig ist und all die Arbeit wert.

 
Ich nehme bei jeder Person, mit der ich zu tun habe, an, dass sie sexualisierte
Gewalt erfahren hat. Wenn sie mir irgendwann etwas anderes erzählt, ist das
schön, aber ich finde es besser mir über mein Verhalten bewusst zu sein, statt eine
Person zu verletzten, und danach herauszufinden, dass die Situation durch
einfache Konsenspraktiken hätte vermieden werden können. Ich habe gelernt,
Menschen zu fragen, ob sie gerade eine Umarmung wollen. Ich frage Kinder, ob
sie auf den Arm genommen werden wollen. Ich frage weinende Freund*innen ob
sie in den Arm genommen werden wollen, ob sie sich wohl fühlen, wenn ich ihre
Hand halte. Ich habe einen Freund, der Masseur ist. “Die erste Regel des
Massierens ist immer, nach Zustimmung zu fragen”, sagte er. “Aber”, fuhr er fort,
“ich habe bemerkt, dass das nicht nur für Massagen gilt… sondern dass ich dieses
Prinzip bei jeder Begegnung anwenden muss, die ich in meinem Leben habe.” Ich
denke an seine Worte, wenn ich neben Fremden im Bus sitze, wenn ich Menschen
bei der Arbeit helfe, wenn ich mit Freund*innen rede. Konsens ist nicht nur aufs
Sexuelle bezogen. Es geht dabei um Kommunikation und darum, darauf
hinzuarbeiten, sichere Orte zu erschaffen. Ich will, dass intime, private Erlebnisse
sicher sind, aber ich möchte mich auch in der Öffentlichkeit sicher fühlen. Bei all
meinen Begegnungen über Konsens nachzudenken, gibt mir das Gefühl auf einer
gewissen Ebene damit anzufangen, meinen Teil dazu beizutragen, dass es
Wirklichkeit wird … Wenn wir Konsens praktizieren, schaffen wir unsere eigenen
sicheren Orte, und dann können wir herausfinden, wo sich diese mit denen von
anderen überschneiden.

 
Dies war meine Einleitung zu einem praktischen Verständnis davon, das
Konsensprinzip anzuwenden, wie es sich anfühlt und warum es so wichtig ist: Ich
erinnere mich daran, wie ich auf dem Bettrand saß und rummachte, aber wirklich
liebevoll rummachte, mit sanften Küssen und ich kann mich daran erinnern,
gedacht zu haben: „was gibt es Schöneres“… und dann erinnere ich mich daran,
panisch aus dem Bett gesprungen zu sein, mit pochendem Herzen, zu Tode
geängstigt, mit einem Loch im Bauch, das sich anfühlte, als würde es mich
lebendig auffressen. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind. Ich fing an irgendwas in
mich hinein zu murmeln und es wurde immer schlimmer und schlimmer. Ich
versuchte es zu erzwingen, zurückzukommen und einfach weiter zu machen. Ich
konnte nicht in meinem Körper bleiben, konnte mich nicht davon abhalten, in
den Strudel zu geraten, der mich zusammengekauert und weinend unter der
Bettdecke zurückließ. Ich konnte meinen Mund nicht öffnen und sie nicht
anschauen. Ich wollte ihr sagen, dass es nicht an ihr lag, dass sie nichts getan
hatte, dass es nicht ihr Fehler war, und dass ich sie liebte – aber ich konnte nichts
sagen. Sie saß eine Weile lang da, dann hörte ich sie sagen: „Willst du, dass ich
bei dir bleibe oder brauchst du Raum für dich?“ Ich konnte darauf nicht
antworten, also machte sie eine ja/nein-Frage daraus und stellte sie nocheinmal:
„Willst du, dass ich hier bei dir bleibe?“ Ich nickte mit dem Kopf unter der
schützenden Schicht der Bettdecke. „Darf ich dich berühren?“, fragte sie und ich
nickte wieder und spürte ihre Hand auf meiner Schulter “Du bist in Ordnung“,
begann sie sanft, „alles ist in Ordnung, du bist sicher… du bist sicher… du bist
sicher…“ Sie fragte mich, ob sie mich in den Arm nehmen dürfe und ich nickte,
sie umschlang mich und hielt mich sanft und ich begann zu zittern und zu
weinen. Sie hörte auf, mir Fragen zu stellen und ließ mich einfach weinen und
hielt mich fest. Als ich zuende geweint hatte, zog ich mir die Decke vom Gesicht,
drehte mich um und sah sie an. Ich konnte ihr nicht in die Augen schauen, aber
sie hielt sanft meinen Kopf, bis ich es tat, und fragte mich dann, wo ich sei. „Bist
du hier?“ „Es ist jetzt sicher, alles ist in Ordnung“ sagte sie. Noch nie zuvor bin
ich dissoziiert◀ und zurückgekehrt. Ich musste es sonst immer wegschlafen, und
bin am nächsten Tag erschöpft und verwirrt aufgewacht. Aber wir hatten vorher
über Trigger◀ geredet, darüber, dass ich manchmal dissoziiere und was das für
mich bedeutet, und darüber, was ich brauche, wenn das passiert. Wir haben uns
zusammengesetzt und gemeinsam das „Support Zine“ gelesen, wir sind
gemeinsam die Fragensammlung zu Konsens durchgegangen… wir haben uns auf
Erlebnisse wie solche vorbereitet. Sie hat umgesetzt, worüber wir gesprochen
haben und es war das erste Mal, dass eine Person es geschafft hat, mich wieder
zurückzubringen, mich sicher zurückzubringen.