von Lee Hunter
Einige Jahre lang habe ich Workshops zu Konsens mitbetreut und habe dabei von vielen Leuten mitbekommen, wie sie Konsens ansprechen und über Sex reden. Ich hoffe, dass all meine Erfahrungen aus diesen Jahren nicht verloren gehen. Deshalb möchte ich einige der Weisheiten teilen, die ich erlangt habe, während ich Menschen beim Sprechen über Konsens zugehört habe. Die Gespräche waren wirklich großartig und halfen mir dabei, Konsens und meine Grenzen definieren zu lernen. Danke an alle, mit denen ich je in einem der Workshops gewesen bin! Über Konsens zu reden kann am Anfang schwierig sein und unangenehme Situationen erzeugen. Aber je mehr du über deine Wünsche redest, desto leichter wird es. Und für die Meisten wird es zu einer Voraussetzung für jede sexuelle Handlung.
Konsens ist ein Wort, das Leute für sich selbst definieren müssen und für das es sehr viele verschiedene Definitionen gibt. Hier einige Beispiele aus vergangenen Workshops:
“Konsens kann nie als gegeben angenommen werden, Konsens wird nicht von allen gleich definiert, Konsens wird verbal◀ ausgemacht, Konsens kann aber auch nonverbal, zB über Körpersprache, ausgemacht werden, Konsens kann in keinem Fall als gegeben angenommen werden, EGAL ob mit Fremden oder längerfristigen Partner*innen, Konsens ist ein fortlaufender Prozess auf jeder neuen Ebene, Konsens ist nur möglich, wenn eine wohl-wollende und offene Kommunikation möglich ist.”
“Konsens bedeutet, meine persönlichen und sexuellen Grenzen zu kennen und zu respektieren und auch die Grenzen meiner*meines Partners*Partnerin kennenzulernen, sich ihrer bewusst zu sein und sie zu respektieren.”
Und eine andere Definition, aus der “Blackthorn” (Ausgabe 3, 2004), einer heute nicht mehr erscheinenden Zeitung aus Portland, OR:
“Konsens ist schwer zu definieren, weil es so viele verschiedene Ebenen der Kommunikation gibt (Körpersprache, Flirten/Anspielungen, Unterhalten, usw.). Der einzige Weg um sicher zu sein, dass es einen Konsens gibt, ist durch explizite verbale Kommunikation: ‘Kann ich dich dort berühren?’ ‘Ja/Nein, du kannst mich dort (nicht) berühren.'”
Es gibt keine feste Definition von Konsens. Deine eigene Definition von Konsens zu entwickeln ist ein wichtiger Teil des Prozesses, deine eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen und zu lernen, wie du diese anderen mitteilen kannst.
Wohlwollende und offene Kommunikation macht einen großen Teil von Konsens aus. Konsens muss nicht bedeuten, dass du immer wieder unterbrechen und eine Person die ganze Zeit fragen musst, ob bei ihr alles okay ist oder ob es okay ist, wenn du ihre Brust oder ihre Genitalien berührst – außer natürlich, wenn eine Person es so möchte. Leute kommunizieren auf verschiedene Art und Weisen über Sex, manche sprechen lieber als andere, während einige finden, dass das Sprechen in der Hitze des Moments wirklich abturnend sein kann. Das Wichtigs-te ist, dass du herausfindest, was am besten für dich und die Person(en) passt, mit der(denen) du zusammen bist. Magst du es, wenn dich eine Person fragt, bevor sie dich küsst oder sexuell berührt, oder würdest du es vorziehen darüber zu sprechen und zu vereinbaren, welche Art von Sex ihr haben wollt, bevor ihr es macht?
Herauszufinden, was du magst und was nicht, ist ein großer Teil davon, deine Grenzen zu erkennen – und indem du dir deine Grenzen bewusst machst, wird es dir möglich, verschiedenen Aktivitäten zuzustimmen. Grenzen spielen in allen Bereichen deines Lebens eine Rolle. Sie sind die Barrieren, die wir entwickeln und ausdrücken. An ihnen können wir erkennen, warum wir ja oder nein sagen. Manchmal werden Grenzen verschoben und gelegentlich übertreten. Wenn über eine Grenze gegangen wird, kann das ein befreiendes oder ein verletzendes Erlebnis sein, abhängig von der Situation. Wenn eine Person die Grenzen einer anderen überschreitet, kann das z B. sexualisierte Gewalt bedeuten. In anderen Fällen überwindest du selbst eigene Grenzen und lernst vielleicht, dass etwas, von dem du dachtest, dass es dich nicht erregt, es doch tut. Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, deine Grenzen zu kennen. Ein guter Weg um herauszufinden, wo deine Grenzen liegen, ist mit Freund_innen oder Liebhaber_innen darüber zu reden, was du magst, welche Erfahrungen du in der Vergangenheit gemacht hast und was deine Zukunftsphantasien sind.
Sowohl Grenzen als auch Zustimmung sind nichts festes. Zustimmung ist vielleicht zu Beginn der Nacht gegeben, aber am Ende der Nacht nicht mehr. Es gibt keine festen Regeln bezüglich Konsens, so wie es auch nicht die Eine Definition dafür gibt. Konsens zu definieren ist ein persönlicher Pro-zess, bei dem du darüber nachdenkst, in welchen Situationen du nie wieder sein willst und wo du mit deinem Sexleben hin-möchtest. Leider haben viele Leser*innen dieses Zines◀ ver-mutlich in irgendeiner Form sexualisierte Gewalt in ihrem Leben erfahren, was viele Dinge zusätzlich komplizierter macht.
Allen Leser*innen, die selber keine sexualisierte Gewalt erfahren haben, möchte ich einige Dinge zum Nachdenken mitgeben. Viele Leute haben Übergriffe erlebt, nicht nur Frauen*◀. Erstens möchte ich Menschen dazu ermutigen, über Sex und Gewalterfahrungen zu reden, bevor sie miteinander schlafen. Manchmal sind Leute noch nicht bereit oder wollen nicht über erlebte Übergriffe sprechen. Also dränge eine Person nicht dazu, über ein Thema zu reden, wenn sie es nicht möchte, das sollte selbstverständlich sein. Zweitens: Menschen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, reagieren meistens (aber nicht immer) auf Trigger◀. Wenn diese Trigger ausgelöst werden, verlässt die Person wahrscheinlich die Realität und ist in ihrem Kopf woanders. Körperlich kann das ganz unterschiedlich aussehen: plötzlich still werden, reglos oder wie versteinert sein, ins Nichts starren. Was im einzelnen Leute triggert ist sehr unterschiedlich und deswegen kann es wirklich helfen, vorher drüber zu sprechen. Manchmal gibt es bestimmte Handlungen, die den Trigger auslösen, wie z.B. von hinten gepackt zu werden, oder das Gefühl zu haben, erstickt zu werden. Du wirst eher auf dem Schirm haben, wann eine Person getriggert wird, wenn ihr im Vorfeld darüber geredet habt. Meiner Erfahrung nach können die meisten Menschen keine Gedanken lesen und sie sind auch nicht immer so aufmerksam, wie wir es uns wünschen würden, deshalb kann das Sprechen über die sexuelle Vergangenheit wirklich hilfreich sein.
Mein Rat ist, dass du lernst, wie du über deine Bedürfnisse sprechen kannst. Als eine Person, die sexualisierte Gewalt erfahren hat, habe ich lange gebraucht, um über meine Gewalterfahrungen zu reden und zu einer Sex-positiven◀ Haltung zu kommen, und das kann mir keine*r mehr nehmen. Ich bin kein Opfer. Ich hab meine Stärken kennen-gelernt und wie ich meine Bedürfnisse erfüllen kann und bin jetzt pro-Sex. Und soweit ich das sagen kann, hat jede*r die Fähigkeit, sich so zu fühlen; es ist nicht immer einfach, aber möglich! Manchmal kann Therapie wirklich helfen und ich sage das in dem Wissen, dass sich Therapie ganz verschieden gestalten kann. Ich habe herausgefunden, dass es mit am Wich-tigsten für mich war, Freund*innen zu finden, mit denen ich über Sex reden konnte und zu lernen, wie ich meine Erfah-rungen mit anderen teilen kann. Deine Trigger zu erkennen und zu lernen, wie du diese ausdrücken kannst (falls du welche hast), kann wirklich dabei helfen, Sex zu haben, der dir gut tut und es kann dir helfen, deine Grenzen zu definieren.
Ein anderes Thema, das oft aufkommt, ist Konsens und Gender◀. Bei Gesprächen mit vielen meiner männlichen* Freunde wurde mir bewusst, dass Konsens besonders in der hetero-sexuellen Welt als ein Konzept verstanden wird, das sich an Männer* richtet. Dass Männer* immer nach Sex fragen und Frauen* ja oder nein sagen. Ich muss zugeben, dass ich immer wieder erschrocken über die Norm bin, dass Frauen* nicht den ersten Schritt machen (sollen), doch diese Annahme gibt es echt oft. Ich möchte nur alle daran erinnern, dass das Zustimmungskonzept keine genderspezifische Sache ist, weder in der hetero- noch in der queeren◀ Szene. Konsens liegt in der Verantwortung jedes*jeder Einzelnen, und über Sex zu kommunizieren ist wichtig, unabhängig davon, wo Menschen sich im Genderspektrum verorten.
Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden die meisten Diskussionen, die ich über einvernehmlichen Sex hatte, von mir selbst begonnen. Ich habe diese Art von Gespräch oft genug geführt, sodass ich es nicht mehr peinlich finde über meine sexuellen Wünsche und Grenzen mit einer anderen Person zu sprechen. Egal, ob ein One-Night-Stand oder eine längerfristige Beziehung, alle bekommen die gleiche Rede zu hören. Und es hat sich herausgestellt, dass es viele Menschen heiß finden, darüber zu reden, auf welche Art und Weise sie Sex haben wollen, bevor es passiert. In den meisten Fällen hat es für mich gut funktioniert vorher Vereinbarungen zu treffen. Das ist keine fehlersichere Methode, aber meine Erfolgsrate ist erstaunlich.
Abhängig davon, welche Art von Sex du gerne hast, ist vorherige verbale Zustimmung absolut notwendig, bevor irgendeine sexuelle Handlung passieren kann. Wenn du mit kinky◀ Sex vertraut bist, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass du schon sehr viel über Konsens gelernt hast.
Aufgrund der sexuellen Praktiken, die bei BDSM◀ vorkommen, hat die Szene einige der besten Definitionen von Konsens, die ich je erlebt habe – und außerdem praktische Wege um über Sex zu sprechen.
Wenn du an Aktivitäten teilnimmst, die körperlichen Schaden verursachen können oder zu einem Krankenhausaufenthalt führen können, sind Vereinbarungen und Einvernehmlichkeit absolut notwendig. Solange Sex einvernehmlich ist, sind euren Möglichkeiten keine Grenzen gesetzt.
Alkohol und Drogen sind keine gute Kombination, um einver-nehmlichen Sex zu haben. Es gibt viele Menschen, die nicht glauben, dass es möglich ist, einvernehmlichen Sex zu haben, wenn Menschen Drogen genommen oder getrunken haben. Das ist eine offene Frage für mich, da es meiner Erfahrung nach sehr auf die Situation ankommt. Trotzdem kann es sein, dass es manchen Leuten unter Drogeneinfluss nicht möglich ist, Entscheidungen zu treffen, die ihnen gut tun und diesen Punkt solltest du bedenken, wenn du über deine Grenzen und wie du diese definierst, nachdenkst. Es ist schade, dass Sex zu so vielen unangenehmen und peinlichen Situationen bei Leuten führt, dass es sich notwendig anfühlt, dabei zum Rausch zu greifen. Unsere Kultur ermutigt uns nicht, über unsere Körper und wie wir miteinander intim sind, zu reden, und erst recht nicht darüber, ob wir spaßigen, erfüllenden Sex miteinander haben, der uns wirklich gut tut. Es ist schrecklich, dass so viel Schmerz von etwas kommt, was so verdammt viel Spaß machen kann.
Hier eine Situation, in der Konsens sehr gut funktioniert hat. Eines Nachts war ich alleine in einer Bar etwas trinken, als ich ein paar Freund_innen traf. Da war eine Person, die ich vorher noch nicht getroffen hatte und ich dachte mir: “Heiß! ich würde gerne mit der Person rummachen.” Einige Bier später küssten wir uns draußen auf dem Parkplatz. Ich habe ihn zu mir nach Hause eingeladen unter der Bedingung, dass wir nicht miteinander schlafen, weil wir uns gerade erst kennengelernt hatten und ziemlich betrunken waren. Er war damit einverstanden und das nächste, an das ich mich erinnern kann, ist, dass wir in meinem Bett rummachten und uns befummelten. An einem bestimmten Punkt wirkte es, als würden wir unsere Abmachung brechen, doch dann fragte er: “Was denkst du, sollten wir weitergehen?” Ich antwortete: “Nein, ich denke nicht. Bevor du mit hierher gekommen bist, haben wir uns darauf geeinigt, dass wir nicht miteinander ficken werden. “Er sagte: “Ja, du hast Recht.” Und das war das Ende. Wir küssten uns noch ein bisschen und schliefen dann ein.
Ich mag dieses Beispiel, weil es mich daran erinnert, dass Konsens machbar ist und ich mag den Gedanken, dass Konsens für alle möglich ist. Ich habe dieses Beispiel auch benutzt, weil es nunmal Fakt ist (geben wir es einfach mal zu), dass sich viele Menschen betrinken und miteinander im Bett landen. In den vielen Fällen ist der Sex dabei nicht einvernehmlich. Nochmal für alle, denen es nicht nicht vollkommen klar ist: Sex mit bewusstlosen Menschen zu haben ist Vergewaltigung! Irgendwie habe ich mitbekommen, dass sich viele Leute über so eine Art von Situation austauschen, welche öfter vorkommt, als ich es tolerieren kann. Wenn du Übergriffe erlebt hast, rede bitte mit Leuten, denen du vertraust und finde einen Weg, mit dem Trauma umzugehen – aber Taktiken für Betroffene sind Themen für einen anderen Text.
Obwohl Konsens zu finden manchmal seltsam oder albern wirkt, ist es ein toller Prozess, der sehr viel schönen Sex ermöglichen kann. Offene Kommunikation ist notwendig, um miteinander über das Thema Sex reden zu lernen und uns mit dem Thema wohler zu fühlen. Zu lernen, wo deine eigenen Grenzen sind und diese mitzuteilen ist einer der ersten Schritte, um sexuelle Beziehungen zu führen, die allen Beteiligten gut tun, egal ob du mit einem One-Night-Stand oder einer*einem längerfristigen Partner*in Vereinbarungen triffst. Grenzen können sich mit der Zeit verändern und Zustimmung kann jederzeit widerrufen werden. Aber vor allem hoffe ich, dass ihr alle ganz viel heißen, prickelnden, einvernehmlichen Sex habt!