Muster

Ich wurde in dem Glauben aufgezogen, dass Typen*◀ die ganze Zeit Sex wollten und dass sie, wenn sie erregt waren aber nicht kommen konnten, “blaue Eier” kriegen würden, was total schmerzhaft und schrecklich sei. Ich wurde in dem Glauben aufgezogen, dass es meine Aufgabe wäre, zu tun, was nötig sei. Ich habe sexualisierte Gewalt erfahren als ich jung war. Und dann ging ich mit viel älteren Typen* aus. Aber als ich 18 war, war ich in einer Beziehung mit jemandem in meinem Alter. 

Einmal habe ich sein Tagebuch gelesen, als er nicht in der Stadt war (es ist überflüssig zu sagen, dass es schrecklich falsch war, das zu tun). In dem Tagebuch stand etwas darüber, wie leid er es war, morgens immer Sex mit mir haben zu müssen. Das Ding war, ich wollte auch keinen Sex haben. Ich dachte, dass ich es tun muss, weil er eine Erektion hatte, also hab ich es initiiert. Ich habe Sex immer iniitiert, wenn ich dachte, dass eine Person Sex möchte, damit ich nicht versuchen musste, “nein” zu sagen und dann vergewaltigt werden würde (selbst wenn der Junge* mich niemals vergewaltigt hätte, und das wusste ich auch).

Als ich sein Tagebuch las, wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass ich die Person sein konnte, die Macht hatte, und dass ich einen Menschen bedrängen konnte, auch wenn ich es nicht wollte. Das hat dazu geführt, dass ich mich eingehend über sexualisierte Gewalt in der Kindheit informiert habe. Und ich habe mich damit auseinandergesetzt, wie meine eigene Geschichte von Gewalterfahrungen im Zusammenhang damit steht, dass ich selbst Gewalt ausübe. Natürlich ist das eine große Aufgabe. Ich lerne noch immer.

Ich muss mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass es ein lang andauerndes “Ver-Lernen” ist. Ich versuche mir dessen sehr bewusst zu sein, aber manchmal passiert es, dass ich in meine alten Muster zurückfalle, wenn ich es am wenigsten erwarte. Eine Weile lang war Polyamorie◀ für mich sehr wichtig beim Versuch, meine eigene Sexualität zu ergründen und zu verstehen – und herauszufinden, wie ich Beziehungen haben kann, die allen Beteiligten gut tun. Manchmal war ich gut darin, und manchmal benutzte ich Polyamorie als eine Ausrede, um nicht auf die Gefühle und Bedürfnisse anderer Leute achten zu müssen. Wendy-O-Matic’s Buch “Redefining Our Relationships” (“Unsere Beziehungen neu definieren”) zu lesen, war sehr nützlich für mich. Es half mir herauszufinden, wie ich in meinen poly-amorösen Beziehungen aufrichtig und rücksichtsvoll sein kann, ohne diese nur als eine manipulative Taktik zu verwenden, bei der ich mich als “moralisch überlegen” inszeniere. Letztendlich entschied ich, dass Polyamorie zu meiner Übersexualisierung von allen Menschen, die ich kannte, beitrug und dass ich nicht auf diese Weise über alle denken wollte. Ich wollte zu klaren Freund_innenschaften und klaren Grenzen fähig sein. Es tat mir echt gut, mit dem Flirten aufzuhören und nicht-sexuelle Wege zu entdecken, um mit meinen Freund_innen in Verbindung zu treten. Ich fing an, viel engere und stabilere Beziehungen mit meinen Freund_innen aufzubauen, was mir half, in allen Bereichen meines Lebens Grenzen zu setzen und zu respektieren.

Ich habe immer noch Schwierigkeiten damit, dass Nähe bei mir immer zu sexuellen Gefühlen wird. Ich gebe mir nicht wirklich die Schuld daran, weil ich weiß, dass das mit meinen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in meiner Kindheit zu tun hat. Ich versuche Möglichkeiten zu erlernen, wirklich offen und direkt mit meinen Freund_innen zu sein, wenn ich versuche, körperliche, nicht-sexuelle Nähe zu bekommen. Ich habe festgestellt, dass es mir echt wichtig ist, das von Anfang an klarzustellen, auch wenn es offensichtlich erscheint: “Ich möchte kuscheln, aber ich möchte nichts Sexuelles machen.” Auch wenn es mein_e beste_r Freund_in ist und ich das schon hundertmal gesagt habe. Ich denke bloß fast immer, dass eine Person Sex möchte, wenn sie mich anfasst. Und dann beginne ich, auf diesen vermuteten Wunsch zu reagieren. Deshalb hilft es, vorher zu klären, was wir machen.

In letzter Zeit habe ich ein paar Mal bei einer neuen befreundeten Person im Bett geschlafen, bei der ich sehr klar das Gefühl hatte, dass wir nichts miteinander anfangen würden, aber dann haben wir doch sexuelle Sachen gemacht, die sich einvernehmlich angefühlt haben. In beiden Fällen wusste ich, dass ich darüber hätte reden sollen, als es passierte. Und in beiden Fällen war ich älter und es hat sich deshalb so angefühlt, als ob es in meiner Verantwortung gewesen wäre, es anzusprechen. Ich versuche jedoch, mich deshalb nicht zu sehr fertig zu machen. Und ich habe darauf geachtet, im Nachhinein mit allen zu reden, um mich zu vergewissern, dass es ok war. Diese Gespräche verliefen echt gut.